Please activate JavaScript!
Please install Adobe Flash Player, click here for download

ZEG_Chronicle

93 Die Internationale Pillenkrise (1996-2002) Schon zu Beginn der Veröffentlichung der WHO-Studie sowie der drei anderen Studien zu VTE und OC Nutzung (Pillen der 3.Generation) Ende 1996/Anfang 1997 gab es publizierte Gegendarstellungen zur Interpretation. Diese waren zunächst sehr zurückhalten im Wortlaut, was sich im Laufe der Jahre bis zu Anschuldigungen und Unterstellungen ändern sollte. Es hatten sich harte Fronten gebildet. Letztlich wurde nur noch selten direkt zwischen den Vertretern der beiden Fronten diskutiert, sondern meist nur über Werbeveranstaltungen für die eigene Sichtweise mit eigenen Anhängern. DieWHOpunktetemitIhremRenommeealsinternationale „unfehlbare“ Institution: Es wurden in schneller Folge viele Artikel mit immer neuen Auswertungen und Argumentationslinien publiziert. Sehr schnell wurde auch eine WHO-Konferenz durchgeführt, wo alle „Interessierten“ an diesem Thema sprechen sollten, was in der Praxis dann aber nur selektiv erfolgte. Daraus entstand eine Überarbeitung der international früher hoch anerkannten WHO Technical Series zur Nutzung von hormonellen Kontrazeptiva und Herzkreislauf. Die Abfassung dieser WHO Broschüre lag voll in den Händen derjenigen, die ein deutlich erhöhtes Risiko der 3. Generation OCs schon anderweitig vertreten und veröffentlich hatten. Seitens der Gegner einer unkritischenWarnung vor Pillen der3.GenerationbeiÄrztenundinderBevölkerungwurde versucht, mit sehr vielen Informationsveranstaltungen Ärzte vor überzogenen Folgerungen zu warnen und auf andere Möglichkeiten der Interpretation der Studienergebnisse hinzuweisen sowie auf Studien, die kein erhöhtes Risiko erbracht hatten. Das half aber nur sehr begrenzt, einen unbegründeten Schaden von den Frauen abzuwenden. Die schlechte Botschaft hat über die Presse immer eine größere Aufmerksamkeit. Folgerichtig stieg in den meisten Ländern Europas die Zahl der Aborte rasant an und es gab auch einen statistischen Anstieg von Todesfällen in diesem Zusammenhang. Prof.HeinemannwarinderZeitvon1996bis2001zuvielen Expertenmeetings, trat auf zahlreichen Gynäkologischen Tagungen oder Internationalen Kongressen auf und verfasste zahlreiche Gutachten für Gerichtsprozesse oder öffentlichen Anhörungen (z.B. März 1996 beim Gesundheitsausschuss des Bundestages). 1999 kam es zu einem Höhepunkt gerichtlicher Ausein- andersetzungen. Die bisherigen Prozesse waren alle erfolgreich bezüglich der These gewesen, dass die Evidenz-Basis der 3.Generationskrise für weit reichende Schlussfolgerungen nicht ausreichte bzw. Zurückhaltung bei der Postulierung eines„echt“ erhöhten VTE Risikos der 3. Generation Pillen angezeigt war, da viele Fragen ungeklärt waren. Es kam zu einer Haftungs-Sammelklage vor dem Royal Court of Justice in London, wo eine Sammelklage von betroffenen Frauen zur Entscheidung anstand. Nach monatelangen Vorbereitungen fand die Verhandlung statt, wo viele Zeugen zu den wissenschaftlichen Ergebnissen und den zugrunde liegenden Studiendetails ins Kreuzverhör genommen wurden. Letztlich wies das Gericht nach einer subtilen Analyse aller relevanten wissenschaftlichen Ergebnisse und der Erläuterung beteiligter, international ausgewiesener Wissenschaftler aus vielen Ländern die Anklage ab. Die Debatte wurde auch in anderen Europäischen Gerichten unter Einbeziehung des ZEG durchgestanden. Man kann zusammenfassen50, dass das Auftreten von VTE bei Frauen schon seit den 1960er Jahren mit der OC- Nutzung in Zusammenhang gebracht wurde, allerdings besonders mit der Estrogendosis. Aber erstmalig wurde nach Abschluss der WHO-Studie 1995 ein starker Zusammenhang mit den Gestagenen postuliert, wobei die Öffentlichkeit mit einem scheinbar erhöhten VTE Risiko von OCs mit Gestagenen der 3. Generation aufgerüttelt wurde. In den darauf folgenden Jahren wurden zahlreiche Studien veröffentlicht, die zum kleineren Teil diesen Verdacht stützten, zum größeren Teil aber kein erhöhtes Risiko der 3. Generation finden konnten. Ob das erhöhte VTE Risiko mit Einnahme von OCs der 3. Generation echt oder ein Artefakt ist, verursacht durch Bias und Confounding, war Subjekt einer hitzigen wissenschaftlichen Diskussion, die auch noch nicht völlig beendet ist. . Im Urteil im letzten großen Prozess vor dem High Court of Justice in London (2002) heißt es: “..there is not as a matter of probability any increased relative risk of VTE carried by any of the third generation oral contraceptives … as compared with second generation products containing Levonorgestrel….” und wies damit die Klage ab. Die Pillen-Krise hatte über viele Jahre die Arbeit des ZEG, aber vor allem die von Heinemann stark beeinflusst, z.T. dominiert (Abb. 91 a-l) 50 Heinemann LAJ. The changing scene – an unnecessary pill crisis. Hum Reprod Update 1999;5:746-755.

Pages