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ZEG_Chronicle

73 Es ist für Epidemiologen immer spannend Wege zu finden, um den Effekt „natürlicher Experimente“ auf den Gesundheitszustand näher zu beleuchten. Ein solch natürliches Experiment war der Effekt der stark unterschiedlichen politischen und sozialen Entwicklung der beiden deutschen Bevölkerungen auf den Gesundheitszustand. In der Zeit bis zum Ende der 1950er Jahre gab es keine deutlichen Hinweise für Unterschiede im Gesundheitszustand zwischen Ost und West und der möglichen Einflussfaktoren. Das zumindest scheint die Todesursachenstatistik zu suggerieren. Aber in den 1960er Jahren etwa beginnen sich Lebenserwartung und Struktur in den Todesursachen auseinander zu entwickeln. Den Zustand hinsichtlich der Risikofaktoren für die Entwicklung chronischer Krankheiten zu analysieren, war eine einfach zu realisierende Herausforderung, der sich das ZEG mit Infratest stellten – auch um den Bekanntheitsgrad des neu gegründeten Instituts zu erhöhen (Abb. 72). Die Datenvergleiche von Befragungs- und Untersuchungs- surveys in den 1980er Jahren in Ost- und West- Deutschland zeigten deutliche Unterschiede in den kardiovaskulären Risikofaktoren: Der mittlere Blutdruck (systolisch und diastolisch) war in allen Altersgruppen bei Frauen wie Männern im Osten höher als im Westen. Im Osten gab es einen Anstieg des Blutdrucks bei Männern im Alter, einen Abfall jedoch bei Frauen. Solche Trend-Daten gab es in Westdeutschland nicht. Der Anteil unbekannter Hypertoniker war offensichtlich in Westdeutschland höher als im Osten. Dafür waren die bekannten Hypertoniker im Westen offenbar effektiver blutdruckgesenkt. Der mittlere Cholesterol-Spiegel war im Osten in allen Altersgruppen für Männer wie Frauen höher als im Westen. Der Mittelwert war im Osten in den letzten 20 Jahren gestiegen, solche Daten fehlten für die Westdeutsche Bevölkerung. Es wurden klare Unterschiede im Ernährungsverhalten zu ungunsten der OstdeutschenBevölkerunggefunden,wasimKontextmit den Blutdruck- und Cholesterol-Spiegel- Unterschieden plausibel war. Der Körpergewichts-Index (BMI) war in den letzten 2 Jahrzehnten nur bei Männern, aber nicht bei den Frauen im Osten angestiegen. Der erreichte mittlere BMI in den 1980er Jahren war bei Frauen in allen Altersgruppen bis auf die älteste im Osten höher als imWesten. Bei Männern waren die Mittelwerte in Ost und West vergleichbar. Die Häufigkeit des Rauchens war bei Männern in Ost und West ähnlich hoch. Im Gegensatz dazu war bei den Frauen ein großer Unterschied zu ungunsten der Westdeutschen Frauen zu beobachten, besonders bei unter 40-jährigen. In beiden deutschen Staaten gab es eine klare Abhängigkeit von der sozialen Zuordnung. Gesundheitsindikatoren in Ostdeutschland: 1989/90 wurde von Heinemann ein Auftrag akquiriert, in Analogie zum gerade veröffentlichten Buch über Indikatoren der Gesundheit der Bevölkerung der Bundesrepublik, ein vergleichbares Buch für die Bevölkerung Ostdeutschlands aus den vorhandenen Datenquellen zusammen zu stellen. Die große Expertise und der umfassende Fundus von Ergebnissen der Epidemiologischen Forschung zu Herzkreislauf- und anderen chronischen Krankheiten in der Epidemiologie-Abteilung von Heinemann im Herzkreislauf-Institut der AdW und später des neuen Instituts ZEG führten auch dazu, dass das Bundesministerium für Gesundheit den Auftrag vergab, für die aktuelle Gesundheitssituation in Ostdeutschland23 eine Zusammenstellung zu machen. Diese Bestandsaufnahme dringlicher Gesundheitspro- bleme der Bevölkerung erfolgte ausdrücklich im Hinblick auf die Entwicklung von Zielvorstellungen für die Gesundheitspolitik. Rationale Entscheidungen darüber, welche Gesundheits- probleme aktuell einen größeren Handlungsbedarf erfordern als andere, sollten auf der Basis umfassender epidemiologischer Kenntnisse getroffen werden. Es kann davon ausgegangen werden, dass das entscheidende ProblemfürdieQualitäteinerVielzahlvonEntscheidungen nicht in einem Informationsmangel per se begründet liegt als vielmehr in einer mangelhaften Zugänglichkeit, Überschaubarkeit und Interpretierbarkeit bereits vorhandener Daten und Erkenntnisse. Die Fülle des insgesamt angehäuften gesundheits- Abb. 72 Broschüre zum Vergleich kardio- vaskulären Risiken in Deutschland-Ost und –West, gedruckt 1991 23Bardehle D, Heinemann LAJ, Weber I. Indikatoren zum Gesundheitszustand der Bevölkerung in der ehemaligen DDR. In: Bundesminister für Gesundheit (Hrsg.): Schriftenreihe des Bundesministeriums für Gesundheit. Baden-Baden, Nomos Verlag 1993.

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